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Dieses Thema hat 4 Antworten
und wurde 509 mal aufgerufen
 Reisebericht Forum.
Leo ( Gast )
Beiträge:

20.03.2008 17:53
Zwei Monate durch Brasilien Antworten

Stationen meiner Rundreise:
o Salvador de Bahia
o mit dem Bus die Küste entlang nach Recife und Olinda
o Flug nach Manaus und Dschungeltour
o Flug in die Hauptstadt Brasilia
o mit dem Bus in die Barockstädte und ins Orgelgebirge
o weiter nach Rio de Janeiro
o Flug nach Porto Alegre
o mit dem Bus durch den Süden und nach Iguazu
o weiter nach Curitiba
o Sao Paolo

leo ( Gast )
Beiträge:

20.03.2008 17:55
#2 RE: Zwei Monate durch Brasilien Antworten

Zwischen den Wassern

Entre as Aguas, zwischen den Wassern, nennt sich die Pousada (Pension), in der ich die erste Woche meiner Brasilienreise verbringe. Sie liegt in dem kleinen Dorf Imbassai, ca. 70 km nördlich von Salvador da Bahia auf einer Landzunge zwischen dem Fluss Barroso und der Atlantikküste an einem endlosen, nahezu menschenleeren Sandstrand. Nur an der Mündung des Flusses gibt es so etwas wie ein Strandleben, also ein paar kleine Strandkneipen und ein paar Badende.

Hier wohne ich in einer Cabana (einer Hütte mit Bad, TV, Terrasse mit Hängematte), liege in der Sonne (die sogar im Schatten Sonnenbrandgefahr in sich birgt), plantsche im Meer, schwimme im Pool und mache morgens und abends lange Spaziergänge am Strand. Es ist wirklich ein kleines Paradies hier und der Gedanke an den Winter daheim ist befremdlich.

Leo ( Gast )
Beiträge:

20.03.2008 17:58
#3 RE: Zwei Monate durch Brasilien Antworten

Projeto Tamar

Der einzige Ausflug, den ich in dieser ersten Strandwoche unternahm, führte mich in das nur 10 km entfernte Praia do Forte, wo man ein interessantes Naturschutzprojekt kennenlernen kann. Hier (und an einigen anderen Orten entlang der Küste) wird das Leben der unterschiedlichen Arten von Meeresschildkröten erforscht und in einer Aufzuchtstation die Vermehrung gefährdeter Arten unter geschützten Bedingungen vollzogen. Dies wurde notwendig, weil die Brutstätten dieser Tiere mehr und mehr vom Menschen beeinträchtigt wurden.

Für den Besucher gibt es hier außer jeder Menge Information die Gelegenheit der unmittelbaren Begegnung mit ausgewachsenen Exemplaren verschiedener Gattungen. Ein beeindruckendes Erlebnis, wenn eines dieser urtümlich aussehenden Tiere mit dem Kopf über den Beckenrand schaut und mit der Flosse auf den Boden schlägt. Außerdem gibt es eine Art Streichelzoo mit anderen Meeresbewohnern (Seesterne, Muscheln, Meeresschnecken). Der Ort Praia do Forte ist ziemlich touristisch, und so war ich froh, am Abend wieder in die ruhigen Umgebung von Imbassai zurück zu kehren.

Salvador - die Wiege des Landes

Eine Brasilienreise in Salvador da Bahia zu beginnen, ist gar nicht so falsch, beginnt doch hier auch die (Kolonial-)Geschichte des Landes. Hier war die erste Hauptstadt, hier wurden Millionen afrikanischer Sklaven angesiedelt und hier ist bis heute Brasilien am 'afrikanischesten'. Das sehr schöne Museum der afro-brasilianischen Kultur, das ich besucht habe, erzählt sehr viel über diese Geschichte, die Kultur selbst ist aber auch im Alltag nach wie vor präsent. Da sind beispielsweise die zahlreichen blocos africanos, Karnevalsgruppen der schwarzen Bevölkerung, die das ganze Jahr über üben und mit ihrem Getrommel nicht zu überhören sind. Manche dieser Gruppen wie etwa Olodum haben es auch zu internationaler Berühmtheit gebracht.

Dann gibt es überall in der Stadt die Kultstätten des Candoble (angeblich über 2000) , traditioneller afrikanischer Religiosität, die die Katholisierung unter den Portugiesen überlebt hat und die westafrikanischen Orixá-Goetter verehrt. Ganz in weiß gekleidet, wird stundenlang musiziert und getanzt, wobei Gläubige regelmäßig in Trance fallen (angeblich sind sie dann von einer der Gottheiten 'bewohnt'). Die Touristenversion dieses Kultes ist vielleicht nicht ganz so echt, aber dennoch beeindruckend.

An anderen Orten wiederum sieht man Vorführungen der Capoeira-Kämpfer, eine Kampfsportart mit Musikuntermalung, die mich ein wenig an Kickboxen erinnert. Angeblich ist die Musik so dazugekommen, dass die Sklaven die kämpferische Natur dieser Tradition vor den Kolonialherren verbergen mussten und sie daher als eine Art Tanz ausgaben.

Und schließlich hat der afrikanische Urgrund Salvadors einige spezifische lateinamerikanische Musikrichtungen hervorgebracht. Samba-Reggae, Tropicalismo, Axé und Lambada.

Musik liegt in der Luft

Diese Stadt ist wirklich ein Wahnsinn. Gestern habe ich hier insgesamt vier Live-Konzerte erlebt. Beim Mittagessen die Sambagruppe 'Barraventos', die tolle Stimmung verbreitet hat (musste ich gleich eine CD kaufen), am Nachmittag die Salsa-Band 'Azucar' (wo mir die brasilianischen Jugendlichen gezeigt haben, wie Salsa-Tanzen wirklich geht), beim Abendessen eine Tropicalismo-Truppe und am Abend ein Rockkonzert mit alten Hadern bis hin zu 'Satisfaction'. Und der große Unterschied zu Europa, alle, aber auch wirklich alle lassen sich mitreißen und so ist eine unglaubliche Stimmung. Und wenn die schönen jungen Brasilianerinnen mit ihrem Körpergefühl und dem spärlichen Textil, das sie am Leibe tragen, dazu tanzen, ist das Erotik pur.

Ganz anders erlebt man hingegen einen Umzug einer der vielen Trommlertruppen. Da bebt die Erde, wenn sie in einem ungeheuer schnellen Rhythmus und mit gewaltiger Kraft ihre Instrumente bearbeiten und damit eine sehr männliche Energie freisetzen. Mit einem Wort - Salvador de Bahia ist Musik!

Aufzug zum Meer

Das Zentrum Salvadors besteht aus eine Oberstadt und einer Unterstadt. Die beiden verbindet seit 1872 ein gigantischer Aufzug mit 72 m Höhe, der täglich angeblich 50000 Menschen befördert. Gestern bin in zum ersten Mal damit gefahren. Für 5 centavos (ca. 2 cent) darf man durch das Drehkreuz, dann wird man einer der vier Kabinen zugewiesen und schon geht’s zusammen mit etwa 25 anderen hinunter zum Meer. Als ich dann mit der Fähre auf die Insel Itaparica fuhr, bot sich ein atemberaubender Anblick auf die Skyline Salvadors und natürlich den Lacerda-Aufzug.

In der Unterstadt ist der Hafen und eher das geschäftliche Zentrum der Stadt, während in der Oberstadt die touristischen Highlights liegen, v.a. das Stadtviertel Pelourinho, benannt nach dem Pranger, an dem die Sklaven früher ausgepeitscht wurden, das bis vor wenigen Jahrzehnten Wohnstatt der Ärmsten und damit das unsicherste Viertel Salvadors war, Anfang der 80er Jahre aber von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt und seither generalsaniert wurde. Heute konzentrieren sich hier Tourismus und Kultur.

Mit dem Bus wie im Flug nach Recife

Die Rodoviaria von Salvador ist ein ultramodernes Terminal, das eher einem Flughafen gleicht als einem Busbahnhof. Es gibt hier auch all die Einrichtungen, die man auf einem Airport findet. Das Ticket habe ich schon vorgebucht (etwa 40 Euro für die 800 km), damit ist auch ein fixer Sitzplatz verbunden. Mit einer Magnetkarte, die man mit dem Ticket bekommt, kann man durch die Sperre auf die Abfahrts-Plattform. Dort steht ein ultramoderner, knallgelber Semileito('Halbbett'-)Bus der Fa. Itapamarim. Doch vor dem Einsteigen gibt’s erst das Check-in. Gegen Vorweis des Tickets wird das Gepäck mit Aufkleber versehen und verladen, der zweite Teil des Gepäckscheins muss bei der Ankunft hergezeigt werden. Dann gibt’s eine Sicherheitskontrolle, ich bekomme ein Sackerl mit Snacks, Polster, Decke und eine Bordzeitschrift der Busfirma und schon kann ich einsteigen.
Ich suche meinen Platz, setze mich nieder und jubiliere: vor meinen Knien ist noch ein halber Meter Platz! Der Sitz lässt sich fast ganz umlegen und auch für die Füße klappt noch eine Stütze aus. Wenn man, wie in meinem Fall, dann auch noch keinen Sitznachbarn hat, ist das schon äußerst komfortabel. Pünktlich um 19 :10 fahren wir los, zuerst gibt es ein Video (irgendein Ritterschinken mit Drachen und so, aber den Ton kann man glücklicher Weise wegschalten. Dann aber geht das Licht aus und alle machen sich schlafbereit. Die Klimaanlage ist erträglich eingestellt, der Bus rollt gemächlich dahin (das Überschreiten der vorgeschriebenen 80 km/h verhindert eine eingebaute Drossel), und so schlummere auch ich bald tief und fest bis zum Sonnenaufgang. Dann freilich ist Schauen angesagt, um 8 Uhr sind wir in Recife.

Recife

Vom Busbahnhof ins (natürlich wieder weit entfernte) Zentrum von Recife fährt eine Metro. Als ich den Zug heranfahre sehe, glaube ich mich nach New York versetzt - genau dieselben silbernen Wagen. Und auch die Favelas, die den Weg saueren, könnte ich mir dort ebenso vorstellen. Was eindeutig anders ist, ist die Hitze, die schon am frühen Morgen herrscht. Aber nach 25 Minuten darf ich eh wieder raus.

Recife (benannt nach dem Riff, das die Stadt und ihren Hafen vor dem Ozean schützt) ist eher ein Handels- und Industriezentrum. Aber dennoch gibt’s hier einiges zu sehen: natürlich wieder jede Menge Kirchen, aber auch nette Häuschen aus der Kolonialzeit. Daneben aber auch zwei sehr originelle Sehenswürdigkeiten. Im alten Bahnhof gibt es ein Eisenbahnmuseum mit historischen Zügen. Und im ehemaligen Gefängnis ist heute die Casa da Cultura untergebracht, die allerdings nicht viel mit Kultur zu tun hat, sondern hauptsächlich Touri-Shops und Bars in den ehemaligen Zellen aufweist. Aber jedenfalls eine originelle Sache!

Olinda

'O que linda' ('O wie schön!') - dieser Ausruf soll angeblich der Ursprung des Stadtnamens sein. Olinda, die Schwesterstadt von Recife ist auch tatsächlich ein besonderes Fleckerl auf der Landkarte Brasiliens. In der Innenstadt hat es sich eine dörflichen Charme bewahrt (autofreie Strassen mit Kopfsteinpflaster), bunte kleine Häuschen und zahllose Kirchen in einem geschlossenen Ensemble aus dem 17./18. Jh. locken bergauf und bergab zu Spaziergängen (ächz!), nette Lokale, Galerien und Ateliers geben ihm zudem den Flair eines Künstlerviertels.

Vitaminmangel braucht man als Tourist in Brasilien nicht zu befürchten. Jede Menge frisches Obst und frischgepresste Säfte harren tagtäglich beim Frühstücksbuffet. Das Frühstück kann sich auch sonst sehen lassen und bietet neben dem Üblichen (Wurst, Käse, Ei) oft auch warme Speisen, wie z.B. Würstchen in einer Art Letscho oder luftgetrocknetes Fleisch, jedenfalls aber eine Menge Süßes, wie Kuchen, süßer Reis, Maracuja-Delicia, Bananen in Karamel usw. Da bin ich natürlich in meinem Element und habe keine Mühe, mich so voll zu essen, dass es locker bis zum Abend reicht.

Leo ( Gast )
Beiträge:

20.03.2008 18:04
#4 RE: Zwei Monate durch Brasilien Antworten

Auf nach Amazonien!

Auf dem Flug nach Manaus einen Fensterplatz zu haben, ist schon eine Freude. Zwar ist die meiste Zeit wegen der dichten Wolkendecke über dem Regenwald gar nichts zu sehen, doch dann, schon im Sinkflug reißen die Wolken auf und ich sehe das endlose Grün des Amazonasbeckens mit seinen unzähligen Wasserläufen. Fast die Hälfte des brasilianischen Staatsgebietes nimmt es ein, und trotz aller Zerstörungen ist kaum was anderes zu sehen als ein endloser grüner Teppich. Und dann taucht Manaus auf, der Fremdkörper in dieser Pracht, ein Betonfleck inmitten des Dschungels, mit immerhin 1,4 Mio. Einwohnern.
Vom Flughafen aus fuhr ich mit dem Bus die 17 km in die Stadt, und das mit leichtem Gepäck, was von Vorteil ist, wenn man dann in der Affenhitze über eine Stunde ein passables Hotel sucht. Das verdanke ich dem erstklassigen Gepäckzustelldienst der Fluggesellschaft Varig.
Nein, im Ernst, die Sache war in Wirklichkeit halb so lustig. In Wirklichkeit habe ich am Gepäckförderband den falschen Rucksack erwischt (er hat genauso ausgesehen wie meiner) und bin damit zur Bushaltestelle. Wie ich da so warte, merke ich, dass es zwar genau derselbe Rucksack ist, aber nicht der meine. Ich habe ihn sofort zurückgebracht, aber der andere war natürlich auch schon weg, Englisch kann sogar am Flugplatz keine Sau, also habe ich das vorgesehene Formular ausgefüllt, bin dann in die Stadt gefahren und habe mir ein Hotel gesucht. Ich hatte natürlich nicht viel dabei außer dem verschwitzten Zeug, das ich am Leibe trug.
Heute beim Frühstück hat mich ein Travelagent angesprochen, der sehr gut Deutsch spricht und wollte mir eine Dschungeltour verkaufen. Ich sagte ihm, ich hätte derzeit andere Probleme. Nun gut, er hat mir den ganzen Vormittag geholfen, einen Freund am Flughafen angerufen (jaja, das ist Brasilien!) und folgendes herausbekommen. Mein Rucksack war noch nicht da, aber der andere lag noch herum, und das Lustigste ist, das dieser auch Österreichern gehört, was auch den baugleichen Rucksack erklärt. Ich bekam auch deren Daten und die Heimatadresse. Damit war ich soweit beruhigt, habe mir ein paar Sachen gekauft, den weiteren Verlauf meiner Reise geplant (Dschungeltrip) und Manaus besichtigt.
Habseligkeiten - jetzt weiß ich, woher das Wort kommt. Weil man selig ist, wenn man seine Habe wieder hat. Ich freute mich wie ein Schneekönig im Urwald, als ich am Nachmittag zurück ins Hotel kam und mein Gepäck bereits angeliefert worden war.! Erst wenn man's nicht mehr hat, merkt man, was für eine Bedeutung die 12 kg haben, die man da mit sich herumschleppt.

Manaus - die Urwaldmetropole

Manaus ist - man kann es nicht anders sagen - keine schöne Stadt, zumindest nicht mehr. Ende des 19. Jahrhunderts, zur Zeit des Kautschukbooms mag das anders gewesen sein. Einzelne Überreste aus dieser Zeit lassen es erahnen. Wer den Film 'Fitzcarraldo' gesehen hat, kennt die Geschichte.

Das Teatro Amazonico, die Oper von Manaus, das Prunkstück unter den Sehenswürdigkeiten, kündet vom ihrem Reichtum in der damaligen Zeit: Marmor aus Carrara, Glasluster aus Murano, gusseiserne Stiegen und Bänke aus England, Holz aus Estland (wegen der Akustik) vieles andere mehr wurde hier verarbeitet, um ein prachtvolles Ambiente für den Einzug der Weltkultur in Amazonien zu schaffen.

Sonst gibt es noch den Palacio Rio Branco (heute ein Kulturhaus), die Kathedrale und den Porte Flutante (ein schwimmender Hafen, um die großen Unterschiede im Wasserstand des Rio Negro auszugleichen) mit dem alten Zollhaus - und das war’s dann schon. Der Rest ist ein architektonischer Wildwuchs mit vielen hässlichen alten Hochhäusern.

Den Amazonas gibt es nicht!

Da fährt man nun nach Manaus, um den Amazonas zu sehen, und was muss ich feststellen... Den Amazonas gibt es hier gar nicht. Die Stadt liegt am Rio Negro, dessen dunkles Wasser etwas unterhalb von Manaus mit dem helleren Wasser des Rio Salamoes zusammenfließt. Dieses Naturphänomen nennt man Encuentro das Aguas, und das wird natürlich bei jeder Ausfahrt per Schiff besucht Und erst ab da gibt es den Amazonas.

Von Manaus aus geht die Reise erst mal mit dem Schiff stundenlang den Rio Negro aufwärts. An seinen Ufern, die kilometerweit voneinander entfernt sind, sodass man den Eindruck hat, auf einem See zu fahren, wechseln sich rote Steilküste, Sandstrände und bewaldete Küstenabschnitte ständig ab.
Dann zweigt der Kahn vom Strom ab in einen der unzähligen Igarapés (Nebenflüsse, die bei höherem Wasserstand durch Überflutung der Uferbereiche entstehen), um schließlich bei der Anaconda Lodge, einer auf einer schwimmenden Plattform errichteten Unterkunft vor Anker zu gehen. Hier ist also für die nächsten Tage unser Stützpunkt. Wir - das sind zwei Schweizer, zwei Holländerinnen, ein Schwede, ein Australier und ich . Wunderschön ist, dass man hier im Fluss schwimmen kann und dass es wegen des sauren Milieus im schwarzen Wasser absolut keine Moskitos gibt! Was es noch nicht gibt, ist elektrischer Strom, aber dafür gibt es jede Menge Natur.

Von hier aus werden nun Ausflüge in die Umgebung mit kleinen Motor- oder Ruderbooten gemacht. Einmal geht’s zum Piranhafischen (mit den paar Fischlein, die uns an die Angel gingen, wäre unsere Verpflegung nicht gewährleistet gewesen), ein andermal spüren wir bei einer nächtlichen Ausfahrt Alligatoren auf, bei Sonnenaufgang begegnen wir den rosaroten Flussdelfinen und ein Faultier wird von unserem Guide vom Baum geschüttelt und beweist dann, dass es auch schwimmen kann. Und dann gibt’s natürlich noch Affen und Vögel und Eidechsen und Spinnen und und und.

Auch ein Besuch in einem Indio-Dorf steht auf dem Programm. Auch sie leben in Holzhäusern auf schwimmenden Plattformen und sichern ihren Lebensunterhalt durch Jagd, Fischerei und Anbau von Maniok. Die Kinder aber besuchen Schulen in Manaus und sind dort auf Staatskosten in speziellen Internaten für Indigenos untergebracht. Wie viele von ihnen werden wohl dann zurückkehren und das Leben ihrer Vorfahren weiterführen?

Dschungelpfade

Höhepunkt der ganzen Tour ist aber jener Tag, an dem wir eine Wanderung auf Urwaldtrails unternehmen. Dazu geht’s erst mal ganz weit ins Überschwemmungsgebiet hinein, bis wir die Terra Firma (den ständig wasserfreien Regenwald) erreichen. Dann gehen wir an Land und verschwinden im undurchdringlichen Dschungel. Schon nach kürzester Zeit sind wir klatschnass vor Schweiß, doch nach einer Weile gewöhnt man sich daran. Und es gibt ja so viel zu schauen, dass man gar nicht damit fertig wird: unzählige, ganz verschiedenartige Bäume, Lianen, Epiphyten, Blüten und Früchte, Luftwurzeln, Stützwurzeln und Brettwurzeln, hin und wieder ein Affe, ein Reptil oder eine Spinne... Bilder über Bilder (einige davon sollen natürlich auch mit der Kamera abgespeichert werden) - und dann soll man auch noch auf den Weg schauen, um nicht auf eine Schlange zu steigen oder über eine Wurzel zu purzeln.

Als wir am Abend in die Lodge zurückkehren, ist das plötzlich schon ein unglaubliches Maß an Zivilisation. Gekühlte Getränke, Essen wird serviert. Und das Bad im Fluss ist so herrlich wie noch nie.

Brasilia - die Moderne schlägt zurück!

Drei Stunden Flug - und man ist in einer anderen Welt. Brasilia, die Hauptstadt, ist der schärfste Kontrast zur Abgeschiedenheit Amazoniens, den man sich nur vorstellen kann.

Die Stadt vom Reißbrett, die 1964 als neue Hauptstadt Brasiliens auf die Hochebene des Planalto gebaut wurde, ist eine einzige Ausstellung von Objekten der Architektur des 20. Jahrhunderts, zumeist nach Plänen von Oscar Niemeyer. Ihr Grundriss ist einem Flugzeug nachgebildet, die Wohnviertel bilden die beiden Flügel, das Zentrum erstreckt sich entlang einer Achse vom Bahnhof bis zum Parlament und entspricht dem Rumpf des Fliegers. Schon diese Symbolik zeigt, dass die Stadt Modernität verkörpern will.

Ich beginne meine Erkundung mit einem Blick vom Fernsehturm, der vor allem in der Längsachse in Richtung Regierungsgebäude faszinierend ist. Von dort aus gehe ich auf dem überbreiten Grünstreifen auf diese zu. Kein Mensch weit und breit, auf den Avenidas rechts und links jede Menge Autos - aber sie sind so weit weg.

Die Kathedrale mit ihrer bekannten Blütenfassade und dem freistehenden Glockenturm ist wegen der Glasfenster innen sehr hell und vermittelt eine besinnliche Atmosphäre. Daneben die Baustellen der Nationalbibliothek und der Nationalgalerie (schon interessant, dass der Sector Cultural zuletzt bebaut wird, bisher gibt’s nur das Theater).
Dann folgen auf beiden Seiten aufgereiht die Gebäude der Ministerien, die alle gleich ausschauen, und daran anschließend wieder architektonische Highlights, das Außenministerium und der Justizpalast, das Präsidentenpalais (wo die Gardesoldaten gerade eine spektakuläre Wachablöse hinlegten) und der Oberste Gerichtshof.

Der Höhepunkt aber folgt zum Schluss: der Doppelturm des Parlaments mit der Kuppel vor dem Senat und der Schüssel über dem Abgeordnetenhaus. Bei einer Führung stelle ich fest, dass der wichtigere Teil des Parlaments gar nicht in den Hochhäusern, sondern in den Flachbauten davor bzw. ihren unterirdischen Fortsetzungen zu finden ist. Die Plenarsäle wirken eher bescheiden in ihrer Ausstattung, aber auf einem der Abgeordnetensitze sitzen zu dürfen, ist schon ein erhebendes Gefühl (darf man bei uns im Parlament meines Wissens nicht).

Dann geht’s in den Sector Comercial (der Hunger ruft) in eines der gewaltigen Shopping Centre, wo ich erst gute Sushi speise und dann - man höre und staune - einem Konzert der lokalen Philharmonie mit Werken von einem gewissen W.A. Mozart beiwohne. Dann gibt’s noch ein Bier, denn zum Sector Hoteleiro ist es ja nicht mehr weit.


Das zeigt sich leider aber auch daran, dass sie zwar äußerst autogerecht ist - Strassen mit 6 Fahrspuren in eine Richtung sind keine Seltenheit, dass sie aber für Fußgänger nur bedingt entsprechende Verkehrswege vorsieht. Im Zentrum sind die einzelnen Zonen funktionell gegliedert, d.h. es gibt Hotelzonen, Kulturzonen, Geschäftszonen und Regierungsviertel. Das rächt sich freilich, wenn man gerade im Regierungsviertel ist und Hunger bekommt...

Die allgemeinen Minen

Minas Gerais (=allgemeine Minen) nennt sich der Bundesstaat, den ich als nächsten besuche. Damit wird angespielt auf die vielen Bergwerke, die in dieser Gegend zu finden sind bzw. die glorreiche Vergangenheit, als der Goldrausch tausende Glückssucher in dieses 'Eldorado' verschlug. Das Flugzeug landet in der Hauptstadt Belo Horizonte, das sich als Hochhausmeer entpuppt und mich daher nicht länger als eine Nacht sieht.

Am nächsten Tag fahre ich zwei Stunden mit dem Bus Richtung Süden, nach Ouro Preto (=Schwarzes Gold), die berühmteste und prächtigste der sogenannten Barockstädte, die ihre Schönheit ebenfalls den 'goldenen Zeiten' verdankt. Die Fahrt führt durch eine liebliche Gebirgslandschaft. Grüne Hügel, Wälder, tiefe Schluchten, Badlands, aber auch Kuhweiden prägen die abwechslungsreiche Landschaft. Ein sattes Grün dominiert, unterbrochen von violett blühenden Bäumen. Manchmal aber ist die Erde aufgerissen, sind Spuren der Bergbautätigkeit zu sehen, und auch Industrieanlagen schieben sich dazwischen.

Das angenehme Klima mit erträglichen Temperaturen tagsüber und kühlen Nächten ist mir nach wochenlanger Hitze auch nicht unsympathisch. Eine Gegend, in der man’s eine Weile aushalten kann. Zumal ich eine ganz tolle preiswerte Pousada mit phantastischer Aussicht finde.

Und dann beweist sich wiedr mal die Macht des Vorurteils. Ich sitze gestern hier beim Internet, im Zimmer Fenster offen, damit es lüftet. Als ich zurückkomme , ist mein Handy weg. Also vermute ich Diebstahl und erzähle die Sache der Vermieterin. Sie meint, es gebe eine Überwachungskamera vor dem Haus, da könne niemand eingestiegen sein. Ob ich sonst wo...? Da fällt mir ein, ich könnte es im Bus ausgestreut haben, als ich nach der Kamera gekramt habe. Sie ruft die Busgesellschaft an, und - man höre und staune - das Handy wurde gefunden. Sie schickt für ein paar Real den Nachbarbuben mit dem Moped zur Busgarage, und wenige Minuten später habe ich es wieder. Aber unser Vorurteil lässt uns natürlich zu allererst an die bösen Brasilianer denken, die die reichen Touristen bestehlen.

Schmuckkästchen Ouro Preto

Ouro Preto (=schwarzes Gold) ist ein wunderschöner Ort, ein richtiges Schmuckkästchen inmitten der Berge von Minas Gerais. Die Topographie der Stadt ist sehr unruhig, überall geht es bergauf und bergab, und das ordentlich, sodass ich nach einem Tag Herumlaufen einen tüchtigen Muskelkater heimbringe. Eine Unmenge von Barockkirchen ist über die Landschaft verstreut, dazwischen ziehen sich enge, mit Kopfsteinpflaster versehene Gässchen dahin, in denen sich die kleinen Häuschen aus der Kolonialzeit frisch renoviert präsentieren. Schließlich ist man ja Weltkulturerbe!

Ich komme nicht sehr rasch vorwärts, denn alle paar Meter muss ich stehen bleiben, schauen, staunen und fotografieren. Und dann geht man ein paar Mal um die Ecke, und schon muss man wieder den Stadtplan zücken, um sich nicht endgültig zu verirren. Und am Abend sitze ich auf der Terrasse vor meiner Pousada und schaue, wie die Abendsonne die Silhouette der Stadt in ein kräftiges warmes Licht taucht. Und sobald die Sonne untergegangen ist, wird es für brasilianische Verhältnisse ungewöhnlich kühl, sodass man sogar Socken und lange Hose aus dem Rucksack hervorkramt.

Museumsstadt Tiradentes

Tiradentes, der Zahnzieher, war der Spitzname eines Freiheitskämpfers, der gegen die Portugiesen für die Unabhängigkeit Brasiliens mobil gemacht hat. Seine Geburtsstadt trägt heute seinen Namen. Nach drei Stunden Busfahrt bin ich da. Und was mich da erwartet, ist nicht weniger prächtig wie Ouro Preto, aber weniger bergig.

In Tiradentes scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, sein kolonialer Charme bezaubert auf Anhieb. Es ist ein richtiges Dorf (6000 Ew.), touristisch zwar, aber dennoch sehr sehr ruhig und verträumt. Auch hier hat die Barockzeit ihre Spuren hinterlassen, sind an allen Ecken und Enden Kirchen zu finden, aber auch eine Menge einfache Häuschen mit blühenden Gärten und bunten Fassaden.

Kaiserstadt Petropolis - auf den Spuren von Stefan Zweig

Die Stadt Petropolis gibt sich eher nobel, sie war früher die Sommerresidenz des Kaisers, erinnert mich verdammt an Bad Ischl. Diverse Paläste allerorten, allen voran das kaiserliche Palais, ein Fluss, der - von Alleen gesäumt - mitten durch die Stadt fließt und ein eher gehobenes Preisniveau. Wegen des kühleren Bergklimas beliebt bei den Bewohnern Rios als Ziel eines Sonntagsausflugs oder (wer sich´s leisten kann) als Zweitwohnsitz.

Petropolis interessierte mich zuallererst als jene Stadt, in die der Schriftsteller Stefan Zweig nach der faschistischen Okkupation Österreichs emigriert und in der er (ob der vermeintlichen Aussichtslosigkeit der politischen Lage in Europa) gemeinsam mit seiner Frau Selbstmord begangen hat. Also heftete ich mich gleich nach der Ankunft auf seinen Spuren. Nach mehrmaligem Fragen fand ich den Weg zum Cimeterio Municipal, und mit Hilfe eines sehr netten Wächters, der mich bis vor das Grab begleitete, schließlich auch zur letzten Ruhestätte. Ein wenig spektakuläres Grab mit schwarzer Marmorplatte mit einer hebräischen Inschrift, eingezwängt zwischen anderen Gräbern (viele mit deutschen Namen) ganz am Rande des Gräberfeldes, ziemlich trostlos. Dann geht’s weiter mit dem Bus zum Wohnhaus, ein schlichtes, modernistisch anmutendes Häuschen am Hang über dem Fluss, das man nur durch den Zaun betrachten kann. Aber zumindest kennt man Zweig hier (als den Autor des Buches 'Brasilien - das Land der Zukunft').

Ankunft in Rio

Von Petropolis war es nur noch eine Busstunde bis Rio. Dort habe ich am Busbahnhof ein Prepaid-Taxi zum vorreservierten Hotel genommen. Und dann saß ich da im Hotelzimmer und konnte es erst gar nicht fassen: Ich war wirklich in Rio! Ist schon was Besonderes. Nach etwas Erholung habe ich mich dann auch schon rausgetraut und einen ersten Rundgang gemacht. Die nächsten Tage werde ich mich nun also dieser Stadt ausführlicher widmen, von der Altstadt über die Strände, die 'Hausberge' Zuckerhut und Corcovado und vieles mehr gibt es zu erkunden.

Lapa, das Stadtviertel, in dem ich wohne, wartet mit einer besonderen Attraktion auf, den Arcos de Lapa (Bögen eines Aquäduktes), über die die Bonde, die alte gelbe Straßenbahn nach Sta. Teresa rattert. Der Kegelstumpf dahinter ist die moderne Kathedrale von Rio de Janeiro, ein gewaltiger Bau aus Beton und Glas, der angeblich Platz für 20.000 Menschen bietet.
Die Bonde hat gleich daneben ihren Ausgangspunkt und zuckelt dann auf zwei Linien durch das alte Stadtviertel Sta. Teresa, das - wie Lapa auch - nun von Künstlern und jungen Leuten entdeckt worden ist und dadurch zu einem bevorzugten Ausgehbezirk geworden ist.

Zuckerhut und Corcovado - Rio von oben

Ein besonderes Erlebnis ist es, von einem der 'Hausberge' Rios auf die Stadt hinunterzublicken. Der Zuckerhut ist mit etwas über 300m der kleinere der beiden, aber wegen seiner bizarren Form der bekanntere. Mit einer Seilbahn gelangt man zunächst auf den Barro de Urca, dann heißt es umsteigen, bevor die nächste Gondel zum Gipfel schwebt.
Ich erreiche die erste Gondel um 8 Uhr und bin dann fast alleine oben, während um 10 Uhr die Aussichtsplattformen von Reisegruppen gefüllt sind. Außerdem ist die Sicht um diese Zeit am besten, später verschwindet die Innenstadt im Dunst. Vom Corcovado gegenüber ist allerdings nichts zu sehen, er ist völlig in Wolken gehüllt. Doch dann - so gegen 11 Uhr - taucht plötzlich zwischen den Wolken die Christusstatue auf, so dass es aussieht, als stünde Jesus auf einer Wolke über der Stadt. Bald darauf ist der ganze Berg wolkenfrei, aber dieser kurze Auftritt war eigentlich das beeindruckendste.
Der Zuckerhut liegt auf einer Halbinsel, die sich etwas in den Atlantik vorschiebt, weshalb man von ihm aus einen besonders schönen Blick auf die Strände hat. Von hier aus ist die Copacabana wirklich wunderschön.

Ganz anders gestaltet sich ein Besuch am Corcovado. Hier fährt man zuerst mal fast eine halbe Stunde mit der Zahnradbahn mitten durch die Ausläufer des Atlantischen Regenwaldes, der in Rio ja bis mitten in die Stadt hineinreicht. Schon das ist nicht zu verachten. Dann geht es mit Aufzug und Rolltreppen hinauf zur Aussichtsplattform mit dem 'Cristos Retendor' (für die Sportlichen gibt es natürlich auch Treppen). Und dann steht man erst mal vor der über 30m hohen Statue, was schon nicht wenig beeindruckt. Doch dann bleibt einem der Mund offen vor Staunen. Ein Panoramarundblick über ganz Rio und seine Umgebung wird geboten, wer da nicht voller Staunen und Begeisterung verstummt, dem ist nicht mehr zu helfen. Immer wieder gehe ich rundum, suche verschiedene Fixpunkte in der Landschaft, mache unzählige Fotos und schaue, schaue, schaue. Erst als die Sonne niedersinkt und ein kühler Wind bläst, steige ich wieder in den Zug.

Im Zentrum von Rio

Das Zentrum von Rio ist weniger eine Altstadt als eine 'Downtown'. Nur vereinzelt verirren sich historische Gebäude in die Ansammlung von Wolkenkratzern, geschlossene Ensembles wie die Praca Floriano mit dem Stadttheater, dem Rathaus und der Nationalbibliothek
gibt es wenige. Aber dennoch findet man inmitten des Kommerzgewimmels Ruheoasen wie das Benediktinerkloster, das auf einem Hügel direkt über der Bucht von Rio thront.

Meine unumstrittenen Lieblingsorte sind aber andere. Da ist einmal die Confeiteria Colombo, ein bekanntes Jugendstilcafé mit einem imposanten Spiegelsaal - und natürlich diversen Köstlichkeiten, die einen kleinen Espresso erst so richtig zur Geltung kommen lassen.

Zum anderen ist es eine alte Bibliothek, die mich fasziniert, die Real Gabinete de Leitura, eine Freihand - Bibliothek (!) in einem wunderschönen gotischen Gebäude, in der man die Bücher von rundumlaufenden Galerien auf drei Ebenen einfach aus dem Regal nehmen und sich dann in der andächtigen Atmosphäre des von einer Glaskuppel erleuchteten Lesesaales zu Gemüte führen kann.

Am Strande von Rio

Natürlich will ich sehen, wie es ich am Strande von Rio so lebt. Besser gesagt: an den Stränden von Rio, das sind die Buchten von Flamengo, Botafogo, Copacabana, Ipanema und Leblon, ist es nicht allzu einladend zu einem Bade. Verschmutztes Wasser, gefährliche Strömungen und ein Zustrom kalten Meereswassers sind die Gründe. Einige gehen trotzdem ins Wasser, für die meisten aber ist 'ihr' Strandabschnitt, der meist mit der fortlaufenden Nummer der Lifeguard-Postos angegeben wird, eher ein Platz der Selbstdarstellung, des Sehens und Gesehenwerdens.

Die Copacabana und der Strand von Ipanema sind für den Rio-Touristen freilich nachgerade magische Orte, emotional aufgeladen durch Lieder und Filmseqenzen, die in unseren Köpfen abgespeichert sind. Und so fühle auch ich mich stolz, als meine Fresse auf der Promenade der Copa, dem von Burle Marx mit Wellenmustern versehenen Pflaster, dahinwandle. Doch nüchtern betrachtet ist das ganze nichts weiter als eine Bucht mit einem nicht allzu aufregenden Sandstrand, der eine endlose Reihe von Hochhäusern und eine sechsspurige Strasse säumt. Ich schlürfe bei einem der Kioske eine Kokosnuss aus und versinke in der Betrachtung des Strandgeschehens, esse dann teuer und nicht allzu gut zu Mittag und lese in der Zeitung, dass am Vorabend bei einer Schiesserei ganz in der Nähe zwei Menschen ums Leben kamen. Ipanema ist ein bisschen weniger touristisch, sonst ganz ähnlich. Beide halten aus der Nähe nicht das, was der Blick von oben verspricht.

Ein Besuch in der Favela

Was einem Rio-Besucher auf eigene Faust eher nicht anzuraten ist, wird nunmehr als geführte Tour angeboten: ein Besuch in den Favelas. Mit Guides, die selbst in der Favela zu Hause sind, kann man sich ein Bild vom Leben in den Armensiedlungen machen. Zwar nicht in der vom gleichnamigen Film bekannten 'Cidade de Deus', die auch während meines Rio-Besuchs mit einigen Schiessereien für Schlagzeilen sorgt, sondern in zwei 'harmlosen' Favelas im Süden der Stadt, in denen der Grossteil der Bewohner einer geregelten Arbeit (im Tourismus oder in privaten Haushalten) außerhalb der Favela nachgeht. Wir bekommen viel erzählt über die Organisation der Comunidad, ihre Probleme und auch ihre positiven Seiten, können mit Bewohnern sprechen, besuchen eine Schule und schlendern durch die engen Gässchen. Ein Blick in eine andere Welt tut sich auf.

Wie ist der Brasilianer?

Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Nun also die Antwort: Der Brasilianer (und natürlich die Brasilianerin) ist groß oder klein, blond, schwarzhaarig oder brünett, hat schwarze, braune, weiße, gelbe oder rote Haut und ist dick oder dünn. Nein, im Ernst. So vielfältig wie die Menschen in Brasilien sind sie wahrscheinlich nirgendwo. Die meisten erzählen voller Stolz, welche Genvielfalt durch die Herkunft ihrer Ahnen in ihnen schlummert, aber alle eint der Stolz Brasilianer(in) zu sein. Und noch etwas ist ihnen gemeinsam: die Überzeugung, dass es immer einen Ausweg gibt und dass man sich daher nicht allzu viel aufregen, sondern das Leben genießen soll. Nicht zufällig heißt der beliebteste Hit 'Allegria' (Lebensfreude)!
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Leo ( Gast )
Beiträge:

20.03.2008 18:11
#5 RE: Zwei Monate durch Brasilien Antworten

Ab in den Süden!

Von Rio aus geht es in den Süden, nach Porto Alegre, die Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande del Sul. Damit verlasse ich auch die Tropen und komme in den (hoffentlich schönen) Herbst der südlichen Halbkugel. Und damit hat dann auch meine Solo-Reise ein Ende, da ich dort mit einer Reisegruppe der oberösterreichischen Grünen zusammentreffe, mit der ich den Süden befahren werde. Das wird zunächst gewöhnungsbedürftig sein nach all den Wochen, wo ich selbst für mich sorgen musste, aber auch jederzeit nach Lust und Laune mein Programm ändern konnte. Andererseits ist es aber schon sehr bequem, sich nicht mehr um die ganze Logistik kümmern zu müssen.
Porto Alegre (=der fröhliche Hafen) ist bei uns bekannt geworden durch das Weltsozialforum. Touristisch gesehen ist die Stadt nicht so aufregend. Die wenigen Sehenswürdigkeiten konzentrieren sich um den Platz der drei Gewalten, eine Kathedrale, das Abgeordnetenhaus, das Präsidentenpalais und der Justizpalast. Und dann gibt’s noch ein Einkaufsviertel und eine sehr schöne Markthalle. Das war’s.

Das Land der Gauchos

Der Bundesstaat Rio Grande do Sul ist geprägt von der Pampa und den Viehherden der Gauchos. Dementsprechend viel (Rind-)fleisch kommt hier auf den Tisch. Ein Besuch in einer hiesigen Churrasceria ist ein echtes Erlebnis, aber einer schlanken Linie nicht unbedingt förderlich. Man bezahlt pauschal und isst, bis man nicht mehr kann. Am Buffet findet man jede Menge Salate und Beilagen (sowie Nachspeisen), die Hauptsache aber sind die riesigen Spieße, die von unzähligen Kellnern herumgetragen werden und mit jeweils anderen Sorten gegrilltem Fleisch bestückt sind. Wenn man nicht direkt abwehrt, landet eine Kostprobe am Teller. Und es schmeckt leider so gut, dass man alles durchkosten muss...

Im äußersten Süden Brasiliens und im angrenzenden Argentinien und Paraguay waren es nicht die Portugiesen, die das Land besiedelten, sondern die Spanier. Und in diesem Gebiet gibt es eine weitere Besonderheit, nämlich die sogenannten Reduktionen, geschlossene Siedlungen der Jesuiten, auf denen sie die Ureinwohner (die Guarani-Indianer) in einer kleinen Stadt mit Colegio und Kirche ansiedelten, um bei der Missionierung gezielter vorgehen zu können. Die insgesamt 13 Reduktionen sind heute Ruinen (und Weltkulturerbe), der angrenzende argentinische Bundesstaat heißt bis heute Missiones.

Auf der Fahrt nach Iguazu, auf der wir auch die Grenze nach Argentinien überschreiten, besuchen wir zwei davon und lassen uns die offizielle Version erzählen, die da lautet, dass die Indianer durch die Jesuiten vor den Angriffen der Bandeirantes geschützt gewesen seien, die das Land unsicher machten. Auf mich wirken die Siedlungen allerdings eher wie Kasernen und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Indianer da sehr glücklich gewesen ist, auch wenn für sein Seelenheil bestens gesorgt war. Heute freilich wirken die Ruinenstätten äußerst idyllisch.

Ökoprojekt Gaia

Etwa zwei Fahrstunden von Porto Alegre entfernt befindet sich ein Ökoprojekt, das in den 80er Jahren vom früheren brasilianischen Umweltminister Jose Lutzenberger (der auch hier begraben ist) initiiert wurde und beispielgebend für ganz Brasilien war.

Von seiner Tochter Lara, die es heute leitet, werden wir über das Gelände geführt und in ausgezeichnetem Deutsch und sehr engagiert über die verschiedenen Projekte informiert.

Auf einer ehemaligen Abraumhalde ist eine Ranch entstanden, die alle Formen von Landwirtschaft mit touristischen Einrichtungen verbindet. Es gibt Kühe, Schweine und Geflügel, eine Kakteenzucht, einen Obstgarten mit allen Arten von tropischen Früchten, Permakulturen, Reis-, Soja- und Maisanbau, ein Wiederaufforstungsprojekt, einen Teich, eine eigenständige Wasserversorgung und -aufbereitung, elektrischen Strom aus Wind- und Sonnenenergie und ein Gästehaus mit Restaurant und Unterkünften.

Zu Besuch bei Che Guevara

Auf der Reise durch die argentinische Provinz Misiones auf dem Weg nach Iguzu passieren wir das Anwesen, auf dem Ernesto Che Guevara aufgewachsen ist. Das in wunderschöner Lage mit Blick auf den Rio Parana gelegene Landhaus ist heute ein Museum, das die Lebensstationen des Revolutionärs mit Bildtafeln lebendig zu machen versucht.

Wasser, Wasser, Wasser - die Fälle von Iguzu

Die nächsten drei Tage wohnen wir in Foz de Iguazu, um auf beiden Seiten der Grenze die weltberühmten Wasserfälle zu erkunden. Der Iguazu ist ein Nebenfluss des Parana, der über mehr als 100 km die Grenze zwischen Brasilien und Argentinien bildet, der hier bis zu 10.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde auf einer Breite von 2700 m über unzählige Haupt- und Nebenfälle in eine nur 100 m breite Schlucht donnern lässt.

Am ersten Tag besuchen wir den argentinischen Nationalpark, der über zwei ausgedehnte Wanderwege mit unzähligen Stegen und Aussichtsplattformen eine hautnahe Begegnung mit sehr vielen der Fälle ermöglicht. Die Fallhöhen liegen zwischen 50 und 80 m. Ein Erlebnis für alle Sinne, Wasser rauscht, Wasser spritzt, Wasser nebelt.

Außerdem gelangt man mit einer Liliputbahn, die den Nationalpark durchschneidet, zur Oberkante des spektakulären 'Garganta do Diabo' (=Teufelsschlund). Schon in einiger Entfernung ist das Donnern des gewaltigen Kataraktes zu hören, wenig später sieht man ein Loch in der so friedlich wirkenden Wasseroberfläche, und dann steht man plötzlich davor und ist überwältigt von dem Anblick der tobenden Wassermassen. Der Grund des Schlundes bleibt in einer Wolke von Gischt und Nebel verborgen.

Der nächste Tag ist der brasilianischen Seite gewidmet. Von hier aus gesehen liegen die meisten der Fälle auf der anderen Seite, sodass man einen besseren Überblick über die gewaltige Dimension dieses Naturspektakels hat.

Itaipu - Wasserkraft gigantonomisch

Nur wenige km nördlich von Iguazu befindet sich das größte Wasserkraftwerk der Welt, der Staudamm von Itaipu, der den Rio Parana auf einer Länge von 150 km aufstaut und mit seinen Turbinen 25 % des Stromverbrauchs Brasiliens und 95% des Bedarfs von Paraguay abdeckt.

Erst bekommen wir im Besucherzentrum einen Film über Bau und Leistung des Kraftwerks vorgeführt, danach werden wir mit Bussen durch das Gelände gefahren. Bei einem Aussichtspunkt gibt es einen Fotostopp, dann geht es weiter über den Damm und zuletzt zu den Kraftanlagen. Ein Museum dokumentiert den durch den Stausee überfluteten Lebensraum mit Exponaten zur Tier- und Pflanzenwelt, sowie der Lebensweise der umgesiedelten Guarani-Indios.

Ich bin beeindruckt - und gespalten. Einerseits ist die Gigantonomie dieses Projektes furchterregend und die Vertreibung der hier ansässigen Bevölkerung schmerzvoll, andererseits denke ich mir, wenn ich höre, dass mit diesem Projekt 13 Atommeiler verhindert wurden, dass Wasserkraft wohl doch die bessere Alternative ist, denn Energiesparen und Alternativenergien sind in Brasilien noch nicht so besonders aktuell.

Curitiba, die Umweltmusterstadt

Nächste Station ist Curitiba, eine Stadt, die als sauberste Großstadt Brasiliens gepriesen wird. Seit den 70er Jahren wird hier viel für Umwelt und Lebensqualität getan, und das Ergebnis kann sich sehen lassen und wurde auch schon mehrfach preisgekrönt. Ein besonders billiges und gut ausgebautes Nahverkehrssystem hat den Individualverkehr stark verringern können (im Bild die berühmten Einsteige-Röhren für die Busfahrgäste), ein ausgeklügeltes Abfallsammelsystem ermöglicht vollständige Mülltrennung und mit 55 qm Grünfläche pro Einwohner gibt es enorm viel Erholungsraum im Stadtbereich.

Mit dem Serra Verde Express hinunter zum Meer

Von Curitiba aus nahmen wir zur Abwechslung mal den Zug, und zwar einen ganz besonderen. Der Serra Verde Express ist eine Schmalspurbahn, die auf einer atemberaubenden Trasse die fast 1000 Höhenmeter zwischen dem Plateau und der Küstenebene überwindet. Brücken führen über tiefe Schluchten, in engen Kurven geht es durch eine phantastische Landschaft (man durchquert ein Stück des atlantischen
Regenwaldes) und genießt das unglaublich grüne Gebirgspanorama.

Vom atlantischen Regenwald, der früher die Küstenlandschaft prägte sind heute nur mehr 4% der ursprünglichen Fläche in Schutzgebieten erhalten. Dieses Ökosystem hautnah zu erleben, das ist der Zweck unseres Aufenthalts im Santuario Nhundiaquara. Inmitten der herrlichsten Natur erwartet uns eine sehr stilvoll mit Naturmaterialien von lokalen Künstlern ausgestaltete Lodge. Hier kann man im Fluss baden (mit Rutsche!), in der Hängematte sitzen und die Umgebung betrachten und natürlich Ausflüge in die umgebenden Wälder machen.
Für den Laien ist der Unterschied zum tropischen Regenwald nicht so leicht feststellbar, auch hier üppigste Vegetation mit ganz Ähnlichen Wuchsformen, aber die Bäume erreichen nicht die Höhen wie die Urwaldriesen Amazoniens und die Artenzusammensetzung ist natürlich auch eine ganz andere.

Die Canyons der Aparados da Serra

Unser nächstes Ziel ist der Nationalpark Aparados da Serra, der zusammen mit dem benachbarten Nationalpark Serra Geral 22.500 ha umfasst und sich entlang des Steilabfalls des Plateaus des Brasilianischen Berglands über insgesamt 16 wilde Canyons hinzieht.

Wir wohnen in der Refugia Pedra Afiada, einer Öko-Lodge am Rande des Nationalparks. Schon vom Zimmer aus fällt der Blick in einen der Canyons, und vom Aussichtsturm am Dach eröffnet sich ein grandioser Rundblick auf die von dichtem Grün überzogenen Berge. Hier findet man die größten noch erhaltenen Araukarienwaldbestände.

Am ersten Tag wandern wir in einem Flussbett weit in den Canyon hinein, am Ende der Strecke erfrischt uns ein kühlendes Bad im Fluss. Am zweiten Tag geht es über eine ruppige Piste hinauf auf das Plateau, wo wir eine Wanderung entlang des Randes des Itaimbezinho - Canyons unternehmen. Der Blick in die Schlucht, in die sich der Rio Boi 700 m tief eingefräst hat, ist einmalig.

Auf der Ranch von Renato Borghetti

Die letzte Nacht verbringen wir - schon in der Nähe von Porto Alegre - auf der Ranch des bekanntes südbrasilianischen Akkordeonmusikers Renato Borghetti. Durch eine tolle Allee fahren wir auf das Anwesen zu, das aus dem Wohngebäude, einem Gästehaus und einem Restaurant besteht. Davor befindet sich ein Pool und ein Steg durch den Schilfgürtel hinaus auf die Lagune dos Patos (erinnert an den Neusiedlersee). Daneben finden sich die Stallungen mit prächtigen Pferden, Reitplatz und Koppeln.

Zur Begrüßung spielt der Hausherr ein paar seiner Melodien, bald darauf gibt es ein opulentes Mahl mit jeder Menge Rind vom offenen Feuer. Aufregung gibt es, als wir direkt vor unseren Zimmern auf eine Schlange stoßen, die von den Einheimischen als 20mal giftiger als eine Kreuzotter eingestuft wird, die Lust auf einen Abendspaziergang ist uns daraufhin erst mal vergangen. Am nächsten Morgen ist leider Regen angesagt, sodass die beabsichtigte Kutschenfahrt über die Besitztümer ins Wasser fällt.

Unverhofft in Sao Paulo

Von Porto Alegre geht es mit dem Flugzeug nach Sao Paulo, wo wir in die Maschine nach Frankfurt umsteigen sollen. Allerdings hat unser Flug einige Verspätung und so verpassen wir den Anschlussflug. Ein Teil der Gruppe wird über Mailand umgeleitet, der andere Teil auf den nächsten Tag vertröstet. Also gibt es ungeplanterweise einen Tag Sao Paulo auf Kosten der Varig.

Und da wartet die Überraschung. Obwohl Sao Paulo von den meisten Reisenden ignoriert wird, präsentiert sich die Stadt als durchaus sehenswert. Wir finden eine pulsierende Metropole vor, die Altes und Neues eindrucksvoll vereint. Quirlige Einkaufsstrassen, Parks und Fußgängerzonen, Kirchen und historische Gebäude reihen sich entlang unseres Rundgangs.

Vom 32. Stock des Edifizio Italia hat man einen grandiosen Blick auf die Hochhäuser der Downtown. Gaukler und fanatische Prediger ziehen allerorten die Passanten in ihren Bann. Straßenhändler verkaufen alles und jedes - und verschwinden blitzschnell, sobald die Polizei ins Viertel kommt.

Und im Viertel der Nipo-Brasilheiros bekommt man einen Eindruck von der Subkultur der Einwanderer aus Japan (Sao Paulo hat mit mehr als 1 Mio. Menschen die größte japanische Gemeinde außerhalb von Japan).

Insgesamt also bereue ich diese unverhoffte Begegnung mit der größten Stadt Brasiliens keineswegs, dennoch bin ich froh, als am Abend dann endgültig Heimreise angesagt ist.

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